Hat Gruner + Jahr die Digitalisierung des Portfolios in der Tat nicht konsequent verfolgt? - Media!House direct

Hat Gruner + Jahr die Digitalisierung des Portfolios in der Tat nicht konsequent verfolgt?

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Die bei Gruner + Jahr, oder korrekterweise RTL, anstehende Portfolio-Bereinigung wurde in den letzten zwei Wochen bereits intensiv diskutiert.


In den Medien kursiert der Vorwurf, dass das Management die die Digitalisierung des Portfolios nicht konsequent verfolgt und sogar dafür notwendige Budgets reduziert oder gar gestrichen habe.


Wir haben uns die Mühe gemacht und verschiedene Auflagenzahlen analysiert, um unser eigenes Fazit in Bezug auf die digitale Entwicklung des Zeitschriften-Portfolios zu ziehen – alle anderen Medien und Formate bleiben unberücksichtigt.  


Wie haben sich die digitalen Auflagen (e-paper) in den letzten zwei Jahren im Vergleich zu den Auflagen des Wettbewerbs entwickelt?




Welche Segmente und Zeitschriften haben wir herangezogen?

Wir haben die e-paper-Auflagen der Jahre 2020 bis 2022, jeweils das 4. Quartal laut IVW, der wichtigsten Wettbewerber im jeweiligen Segment verglichen.


                     Aktuelle Magazine: Stern, Spiegel, Focus

                     14-tägliche Frauenzeitschriften: Brigitte, Freundin, Für Sie

                     Wirtschaftsmagazine: Capital, Euro, Wirtschaftswoche



Wie sich die Auflagen der aktuellen Magazine gestalten

Auflagenstruktur der verbreiteten Auflagen
Während der Stern nur ca. 10,4 % seiner verbreiteten Auflage papierlos produziert, weisen seine Wettbewerber deutlich höhere Auflagen aus:


Der Spiegel hat mehr als 8x so viele e-paper wie der Stern; dies entspricht einem Anteil von 38,9 % an seiner gesamten verbreiteten Auflage. Der Focus erscheint zu 32,7% als e-paper.


Auflagenstruktur der e-paper-Auflagen

Der Stern weist exakt 50 % der gesamten e-paper-Auflage als erlösstarke Abos aus. Der Spiegel kommt auf 68,7 % abonnierte e-paper, während der Focus bei 94,4 % liegt.


Bei den wirtschaftlich eher uninteressanten „Sonstigen Verkäufen“ zeigt sich hingegen genau das umgekehrte Bild: Der Stern weist hier 44,3 % seiner e-paper-Auflage aus; Der Spiegel liegt bei 30 %  und der Focus bei rudimentären 3,8 %.


Auflagenentwicklung bei den e-papern in den letzten Jahren (2020 bis 2022)

Der Stern legt nur um 28 % in der e-paper-Auflage zu. Der Spiegel ist meilenweit enteilt und weist ein Wachstum  von 76,1% aus; auch der Focus hat eine deutlich bessere Entwicklung genommen und verzeichnet einen Zuwachs von 39,6 %.



Auch bei den Frauenmagazinen steht der Wettbewerb deutlich besser da

Auflagenstruktur der verbreiteten Auflagen

Die Brigitte weist insgesamt 9,2 % der gesamten verbreiteten Auflage. Auch hier stehen die Wettbewerbstitel der anderen Verlage deutlich besser dar:


Für Sie hat insgesamt 19,5 %  e-paper an der gesamten verbreiteten Auflage und die Freundin kommt auf 11,3%


Auflagenstruktur der e-paper-Auflagen

Die Brigitte kommt auf 16,4 % Abos in der e-paper-Auflage.


Die Wettbewerber schlagen sich deutlich besser:


86,2 % der e-paper-Auflage sind abonniert. Der Burda-Titel Freundin kommt auf knapp 97%  Abos in der e-paper-Auflage.


Wie schon bei den „Aktuellen Magazinen“ zeigt sich bei den wirtschaftlich uninteressanten  „Sonstigen Verkäufen“ genau das umgekehrte Bild: Die Brigitte weist hier 71,3 ihrer e-paper-Auflage aus, während die Freundin nicht mal 1% ihrer e-paper ausweist. Die Für Sie meldet nur 12,6 % ihrer e-paper-Auflage bei den „Sonstigen Verkäufen“.


Auflagenentwicklung bei den e-papern in den letzten Jahren (2020 bis 2022):

Auch hier zeichnet sich kein gutes Bild für den G+J-Titel Brigitte im Vergleich zu den Wettbewerbern:


Die Brigitte legt zwar um 42,8 % in der e-paper-Auflage zu; 2020 war sie sogar Marktführerin. 2022 verlor der Titel diese Position an die Für Sie, die ein imposantes Wachstum von 1.002,3% ausweist.

Die Freundin schafft im gleichen Zeitraum ein Wachstum von 1.817,5 %


In Zeiten der Corona-Pandemie hat G+J es somit versäumt, seine ursprünglich sehr gute Ausgangsposition zu stabilisieren und sich weiterhin als Marktführer dieses Segments zu etablieren.



Capital nur auf den ersten Blick im Bereich der Wirtschaftspresse digital vorn mit dabei
Auflagenstruktur der verbreiteten Auflagen

Während Capital 32,8 % seiner verbreiteten Auflage inzwischen papierlos produziert, weisen die Wettbewerber deutlich höhere Zahlen aus:


Da der „Euro“ insgesamt eine geringere Auflage als Capital hat, sind auch die e- paper-Auflagen entsprechend geringer, dennoch sind 33,4 % der verbreiteten Auflage digital.


Anders die Wirtschaftswoche: Von der verbreiteten Auflage werden 57,3 % mittlerweile digital versendet.


Auf den ersten Blick steht Capital also gar nicht so schlecht dar, aber das Ganze relativiert  sich bei dem Blick auf die Auflagenstruktur der e-paper:


Auflagenstruktur der e-paper-Auflagen

Bei den erlösstarken Abos weist Capital gerade einmal  5,2 % der gesamten e-paper-Auflage aus. Der insgesamt eindeutig auflagenschwächere Euro weist mit 69,2 %  nahezu 4x so viele e-paper wie Capital aus. Die Wirtschaftswoche kommt auf 59,2 % Abos in der gesamten e-paper-Auflage.


Bei den wirtschaftlich eher uninteressanten „Sonstigen Verkäufen“ zeigt sich wieder genau  das umgekehrte Bild: Der G+J-Titel Capital weist hier 91,9 % seiner e-paper-Auflage aus; Der Euro liegt bei 15,9 % und die Wirtschaftswoche bei 12,3 %.


Auflagenentwicklung bei den e-papern in den letzten Jahren (2020 bis 2022)
Capital legt nur um knapp 12% in der e-paper-Auflage zu; Die Wirtschaftswoche liegt auch hier vor und weist ein Wachstum von 38,1% aus. Der Euro hat mit einem Zuwachs von 241,2 % eine deutlich bessere Entwicklung genommen.



Kommen wir auf die Ausgangsfrage zurück: Hat G+J die Digitalisierung des Portfolios in der Tat nicht konsequent verfolgt?

Vor dem Hintergrund stark gestiegener Papier-, Energie- und Zustellkosten gewinnt die e-paper-Auflage aus Verlagssicht noch mehr an Bedeutung. G+J hat es in den letzten Jahren ganz offensichtlich versäumt, in die Gewinnung von e-paper-Käufern zu investieren.


Andere Verlage sind hier deutlich besser aufgestellt, wie ein Blick in die IVW offenbart.


Ja, die Digitalisierung des Portfolios hatte beim Management offensichtlich keine Priorität. Die Vermutung liegt nahe, dass die fehlende Entwicklung der digitalen Auflagen zur aktuellen wirtschaftlichen Situation beiträgt.